The Time For Denial Is Over - Leipzig

Transnational Restitution Movement
kuratiert von GROUP50:50

Seit den 1960er Jahren setzt sich eine Bewegung von global vernetzten Künstler:innen, Intellektuellen und Aktivist:innen beharrlich für die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter und menschlicher Überreste ein, um den Prozess der Entkolonialisierung nach der Unabhängigkeit voranzutreiben. Nach einer langen Periode der Stagnation hat sich die Debatte in den letzten Jahren beschleunigt, mit Beispielen physischer Rückgaben wie der Behanzin-Schätze an die Republik Benin oder der Benin-Bronzen an Nigeria. Unzählige Initiativen von Künstler:innen, Kulturinstitutionen sind weltweit entstanden, die diesen Restitutionsprozess vorantreiben und begleiten. In diesem historischen Moment lädt die GROUP50:50 Künstler:innen, Aktivist:innen und Denker:innen aus Europa und Afrika ein, die Grundlagen für eine transnationale Restitutionsbewegung zu erarbeiten. In Leipzig präsentieren und diskutieren sie in einer Reihe von Screenings und Talks künstlerische und politische Praktiken, die afrikanische und europäische Identitäten neu definieren und den transkontinentalen Dialog und die Zusammenarbeit neu gestalten.

Sobald wir eine europäische Perspektive verlassen, werden Schädel und Skelette zu mehr als nur wissenschaftlichen Objekten und Masken zu mehr als nur Kunstobjekten. Sie sind von Geistern der Ahnen bewohnt, die brutal ihrem Lebensraum entrissen und in vergessenen Sammlungen weggesperrt wurden, von wo sie bis heute den europäischen Kontinent heimsuchen. Sollen diese Objekte restituiert werden, müssen wir in Europa und in den ehemaligen Kolonien lernen, über die lange Geschichte der physischen Gewalt, der wirtschaftlichen Ausbeutung, der Entfremdung, der kulturellen Aneignung und der Entwurzelung dieser sinnstiften den Objekte zu sprechen. Welche Rituale können wir erfinden, um die Rückgabe der Objekte zu begleiten? Wie können wir den Prozess der Entfremdung umkehren, der mit einem hegemonialen eurozentrischen Denken und mit kolonialer Gewalt ausgelöst durchgesetzt wurde?

Die Destabilisierung der sozialen Strukturen durch die Enteignung von Objekten mit kulturellem Wert oder symbolischer Kraft ermöglichte die Ausbeutung von Mensch und Natur. Moderne Ideen des wirtschaftlichen Fortschritts und die damit verbundene Trennung von sogenannten „fortgeschrittenen“ und „primitiven“ Gesellschaften, der Zwang zum Wirtschaftswachstum und die Idee einer unendlichen Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen vernichteten jede alternative Kosmologie, die das Verhältnis zwischen Mensch und Natur anders definieren könnte. Sollte die Restitutionsbewegung auch die Rückgabe der natürlichen Ressourcen fordern? Wer zahlt für die fortwährende Zerstörung der Lebensräume durch die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen? Und wäre es nicht besser für die Menschheit, wenn alternative Kosmologien wiederhergestellt werden könnten?

„The Time For Denial Is Over“ ist ein Projekt von GROUP50:50 (Basel-Lubumbashi), Centre d’Art Waza (Lubumbashi) und Studio Rizoma (Palermo) in Zusammenarbeit mit PODIUM Esslingen, The European Pavilion, CTM Festival Berlin, euro-scene Leipzig, Kaserne Basel und Vorarlberger Landestheater.

After the opening event in Palermo, "The Time For Denial Is Over" travels to Basel, Bregenz, Leipzig, Berlin, Kinshasa and Lubumbashi.


Mittwoch, 9. November 2022, 17:00 – 19:00

FIRST SESSION: Dialogue with communities and their ancestors!

Eine der größten Herausforderungen für eine transnationale Restitutionsbewegung ist es, einen Dialog mit denjenigen lokalen Gemeinschaften aufzubauen, die während der Kolonialzeit enteignet worden waren. Wie können die lokalen Gemeinschaften die Deutungshoheit über die Objekte und die Menschen wiedererlangen, die ihnen abhanden gekommen sind? Lokalen Kulturzentren, zivilgesellschaftlichen Organisationen und transnationalen Künstler:innengruppen wird dabei die Rolle zukommen, Brücken zu schlagen, zwischen den Institutionen im Norden und den lokalen Gemeinschaften im Süden. Aber wie kann diese Begegnung gestaltet werden? Welche Missverständnisse, welche Schwierigkeiten begegnen uns dabei?

Screening: Mangi Meli Remains

Regie: Konradin Kunze und Flinn Works, 2019. 12 min.

In Old Moshi, Tansania, wird ein Kopf vermisst. Es ist der von Mangi Meli, der sich gegen die Besetzung des Kilimandscharo-Gebietes durch die deutschen Kolonialmächte gewehrt hatte und 1900 hingerichtet wurde. Auf Anfrage von Wissenschaftlern wurde sein Kopf dann nach Deutschland verschifft. Der Enkel von Mangi Meli wartet bis heute auf seine Rückkehr.

Diskussion mit: Mnyaka Sururu Mboro, Aktivist (Berlin), Konradin Kunze, Theaterschaffender, Flinn Works (Berlin), Isabelle Reimann, Provenienzforscherin (Leipzig)

Screening: Faire-Part

Regie: Anne Reijniers, Nizar Saleh, Paul Shemisi und Rob Jacobs, 2019. 58 Min. (Ausschnitt von 20 Min.)

Am Vorabend der verschobenen kongolesischen Wahlen arbeiten zwei kongolesische und zwei belgische Filmemacher:innen an einem Film über Kinshasa und seinen Widerstand gegen das Erbe des Kolonialismus. Die vier Filmer:innen wollen gemeinsam eine Geschichte erzählen, aber da sie auf unterschiedlichen Seiten der Geschichte aufgewachsen sind, haben sie unterschiedliche Ansichten darüber, wie diese Geschichte erzählt werden soll. Wie sollte sie aussehen? Wer sollte darin vorkommen? Für wen wird sie gemacht? FAIRE-PART ist die Suche von vier Filmemacher:innen nach einer Möglichkeit, die Stadt zu porträtieren. Indem sie künstlerische Performances im öffentlichen Raum filmen, zeichnen sie ein provokantes Bild von Kinshasa und seinen Beziehungen zum Rest der Welt.

Diskussion mit: Paul Shemisi und Rob Jacobs (Faire-Part), transnationales Kollektiv (Kinshasa / Brüssel)

Donnerstag, 10. November 2022, 18:00 – 20:00

SECOND SESSION: Face the damage, treat the wounds!

Es steht heute außer Frage, dass tausende Artefakte und die sterblichen Überreste der Ahnen in den europäischen Museen in die Länder ihrer Herkunft zurückkehren müssen und somit die Menschen das in langen politischen Kämpfen geforderte kulturelle Erbe wiedererlangen. Die zurückkehrenden Ahnen und Artefakte erinnern die Menschen aber an eine lange Geschichte der Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung, mit der wir uns in Europa und in Afrika auseinandersetzen müssen. Die Restitution könnte in diesem Sinne ein schmerzhafter und gleichzeitig heilsamer Prozess sein, im Zuge dessen sich das Verhältnis zwischen dem afrikanischen und dem europäischen Kontinent grundlegend transformiert.

Screening: You Hide Me

Regisseur: Nii-Kwate Owoo, Ghana, 1970. 16 min.

1970 verbrachte der ghanaische Filmemacher Nii-Kwate Owoo einen Tag mit Dreharbeiten in den Kellerarchiven des Britischen Museums. 1971 wurde sein Film YOU HIDE ME in Ghana als "anti-britisch" verboten, was ironischerweise dazu führte, dass eine einflussreiche Londoner Zeitschrift "West Africa" eine Schlagzeile veröffentlichte, die den Film im Rest der Welt bekannt machte. Mehr als ein halbes Jahrhundert später wurde YOU HIDE ME auf dem Pariser Kurzfilmfestival 2020 mit dem Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet.

Diskussion mit: Bénédicte Savoy, Kunsthistorikerin (Berlin)

Screening: Behind the Glasses

Regie: Azgard Izambo, 2019, 4 min.

2018 lädt das GRASSI Museum für Völkerkunde Kuratoren und Künstler:innen aus Kinshasa ein, die Ausstellung „Megalopolis I – Stimmen aus Kinshasa“ mit ihren eigenen Werken und in Auseinandersetzung mit der Sammlung zu gestalten. Dabei geht es auch um Objekte, die König Leopold II 1894 dem Leipziger Museum geschenkt hat. In diesem Rahmen entsteht der Kurzfilm BEHIND THE GLASSES von Azgard Itambo. Er gibt den Schmerz und die Fragen wieder, mit denen ein junger Mann aus dem Kongo beim Anblick der Objekte im Museum konfrontiert ist. Wie können die Menschen heute ohne diese Geschichte leben?

Diskussion mit: Ohiniki Mawussé Toffa, Germanist und Kolonialhistoriker (Leipzig) und Stefanie Bach, Kuratorin für Global Art am Grassi Museum für Völkerkunde (Leipzig) 

Screening: Return. An Epic Journey

Regie: Rita Mukebu und Joseph Kasau. Produziert von Centre d’Art Waza, Lubumbashi, 2021. 15 min.

Inspiriert von den afrikanischen Masken im Museum Rietberg in Zürich hat der Schweizer Künstler Lukas Stucky eine Maske entworfen und die kongolesische Künstlerin Rita Mukebo gebeten, ihr den Status eines Kunstwerks zu verleihen. In einem vom Centre d’Art Waza Lubumbashi produzierten Kurzfilm testet Mukebu die Bedeutung der Maske, indem sie die Tshokwe-Gemeinschaft, den Direktor des Kunstmuseums, einen Universitätsprofessor und andere besucht.

Diskussion mit: Stéphane Kabila, Kurator, Centre d’Art Waza (Lubumbashi) und Joseph Kasau, Co-Regisseur des Films (Lubumbashi)


mit

Eva-Maria Bertschy
Kuratorin, Künstlerin GROUP50:50, Berlin / Palermo

Patrick Mudekereza
Kurator, Künstler GROUP50:50, Lubumbashi

Bénédicte Savoy
Kunsthistorikerin, Berlin

Paul Shemisi und Rob Jacobs (Faire-Part)
transnationales Kollektiv, Kinshasa / Brüssel

Mnyaka Sururu Mboro,
Aktivist, Berlin

Konradin Kunze,
Theatermacher, Flinn Works, Berlin

Isabelle Reimann,
Provenienzforscherin, Leipzig

Christiana Tabaro und Michael Disanka
Theatermacher, Kinshasa

Elia Rediger
Künstler, Theatermacher, Basel

Kojack Kossakamvwe
Gitarrist und Komponist, Kinshasa

Ohiniki Mawussé Toffa, Germanist und Kolonialhistoriker, Leipzig

Stefanie Bach, Kuratorin für Global Art am Grassi Museum für Völkerkunde, Leipzig

Joseph Kasau, Regisseur und Künstler, Lubumbashi

Stéphane Kabila, Kurator, Lubumbashi


Kuration
Patrick Mudekereza und Eva-Maria Bertschy

Übersetzung
Luca Maier
Katia Flouest-Sell

Soziale Medien
Fellow Publishing

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